Kontrollreduktion als Kundenservicestruktur der Zukunft
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Ludger Strom ist Managing Director bei Gobeyond Partners, ein neuer Typ von Beratungsunternehmen und Teil der Webhelp Group. Ludger verantwortet die Regionen Deutschland, Österreich und Schweiz und ist selbst seit über 20 Jahre in der Branche tätig.
Im Podcast "Meike's Raumzeit" sprechen Meike Tarabori und Ludger Strom über New Work und wie die Struktur des Kundenservice der Zukunft aussehen kann. Gemeinsam blicken sie über die Branchengrenzen hinaus und analysieren die Möglichkeiten agiler Arbeitsmodelle.
MT: Egal ob nun New Work oder Home Office: Was ist Dein Verständnis von agilen Arbeitsmodellen?
Ludger Strom: Natürlich gibt es auch in Callcenter-Unternehmen entsprechende Diskussionen darüber, wie viele Räumlichkeiten ich überhaupt noch brauche. Aber sprechen wir wirklich von New Work oder ist es nicht viel mehr New Place? Die Menschen sitzen eigentlich nur woanders und tun genau das Gleiche wie vorher, haben genau die gleiche Verantwortung, dieselben Technologien, Kennzahlen und Ziele wie zuvor.
MT: Also ist der Begriff für Dich nichtssagend?
Ludger Strom: Was ändert sich denn wirklich? Wir sollten eine Diskussion anstoßen, wo wir uns als Branche hinbewegen wollen. Auch Themen wie Employee Wellbeing und Work-Life-Balance haben an Bedeutung gewonnen. All diese Faktoren kann man ja zusammendenken.

MT: Wie würde dieses Zusammendenken aussehen?
Ludger Strom: Betrachten wir doch mal multilinguale Hubs, die vorrangig im Süden von Europa angesiedelt sind und auch finnischsprachige Menschen an ihren Standorten einsetzen. Viele dieser beispielsweise in Athen Rekrutierten befinden sich aktuell im Home Office.
Jetzt stellt sich mir natürlich die Frage: Welche Gründe sprechen dafür, dass eine Finnin in Athen arbeitet, wenn sie auch aus Finnland arbeiten kann? Und wenn die Finnen in Finnland für ein virtuelles Projekt arbeiten, warum soll ich ihnen nicht eigentlich auch die Verantwortung dafür übertragen Kundenservice auf Finnisch, für Finnen zu gestalten?
MT: Gibt es derartige Umsetzung bereits?
Ludger Strom: Es gibt vergleichbare Pilotprojekte in Deutschland und in der Schweiz, die beweisen, dass es funktioniert. Wieso gebe ich den Menschen, die in direkter geografischer Nähe zum Kunden sitzen nicht die Möglichkeit, sich selbst zu organisieren? Das bedeutet auch die Entscheidungsgewalt darüber, ob und wann sie persönlich zu einem Kunden fahren. Das wäre garantiert ein Paradigmenwechsel. Das beantwortet auch die Frage, ob es das schon gibt: Ich sage, ich glaube nicht, aber ich sage auch, dass es das in der Servicebranche geben könnte. Diese Art der Autonomie ist die Zukunft.
MT: Widerspricht dieser Ansatz nicht dem Lösungsmodell der Webhelp Group?
Ludger Strom: Was ich hier skizziere, ist eine langfristig mögliche neue Ausrichtung der Kundenservice-Organisationen. Wir sprachen ja schon darüber, dass es aktuell noch keine solche Organisation gibt. Es kann also keinem Unternehmen widersprechen. Mit meinen Webhelp Anywhere Kollegen bin ich bereits im Gespräch über solche Optionen.
MT: Eine solche Projekt-Organisation erfordert viel Vertrauen in die Mitarbeiter. Wie argumentierst Du einen solchen Schritt gegenüber den Unternehmen?
Ludger Strom: Du hast es schon angesprochen: Ja, wir reden über Vertrauen. Ja, wir reden über Empowerment. Menschen, die gerne im Kundenservice arbeiten, kümmern sich gerne um den Kunden. Und ich bin mir sicher, dass sie sich noch mehr um den Kunden kümmern würden, wenn sie denn dürften. Dafür muss die Organisation die Kontrolle abgeben und Strukturen ändern.
MT: Erfolge werden aber an Zahlen und Zielen gemessen und nicht an Vertrauen und Freiheit.
Ludger Strom: Heute bekommen die Mitarbeiter die zu erreichenden Ziele und technologischen Mittel. Sie haben finanzielle, organisatorische sowie rechtliche Sicherheit und dann heißt es: Umsetzen. Das ist doch bereits ein Abgeben von Kontrolle. Das muss es auch, als Teil eines modernen Führungsstils. Mein Vorschlag entwickelt nur konsequent weiter, was wir schon aus vielerlei Ecken über die letzten Jahre gehört haben.
MT: Wie schafft man es, in solcher Autonomie eine gewisse Konsistenz und Qualität zu sichern?
Ludger Strom: In einem selbstorganisierten Home Office-Umfeld spüre ich eine andere Art von Joberfüllung – das geht mir persönlich übrigens auch so. Und ich habe auch viel mehr regionale und lokale Nähe zu Teamkollegen und Kunden. Wir reden nämlich auch über dieselben Dinge vor Ort. Das klingt philosophisch, aber vielleicht kann man das gemeinsam konzipieren und die positiven Aspekte davon für den Kundenservice nutzen.
MT: Aber brauchen wir diese Regionalität wirklich? Lässt sich dieser zwischenmenschliche Aspekt nicht auch mit Technologie lösen?
Ludger Strom: Wir sind letztlich soziale Wesen und wir brauchen den Austausch. Eigentlich hungern wir doch alle wieder danach, uns persönlich auszutauschen. Gleichzeitig werden viele Arbeitsstrukturen virtuell bleiben. Aber gerade dann, wenn mein Kundenberater allein zu Hause sitzt, muss ich ihm ein passendes Umfeld schaffen. Wieso also nicht die Mitarbeiter zusammenbringen und dafür sorgen, dass sie sich gegenseitig regional stärken?
MT: Wie ändert das die Beziehung zwischen Servicemitarbeitern und Kunden?
Ludger Strom: Wenn ich ein Kundenberater in dieser autonomen Struktur bin, was hindert mich auf dem Weg zu einem persönlichen Termin daran, noch im Auto ein Gespräch mit einem anderen Kunden zu führen? Das geht natürlich nur, wenn ich kein CRM-System dafür brauche. Aber solche Hürden kann man heute technologisch lösen. Vielleicht kann man sogar unterschiedliche Dienstleistungen auf regionaler Ebene zusammenbringen.
MT: Heißt, ein Paketbote fährt unterwegs noch bei einem Kunden vorbei, der vor Ort Hilfe braucht? Das geht ja dann auch über die eigentlichen Aufgaben hinaus.
Luder Strom: Was ich sage, ist: Transformation ist so viel mehr als Technologie. Wir denken immer darüber nach, wie das technisch machbar ist, aber vielleicht sollten wir auch mal darüber nachdenken, wie es menschlich möglich ist. Auch das machen wir in unserer Callcenter-Branche ja schon. Wir überlegen uns, wie wir vom reinen telefonischen Helpdesk in den Vor-Ort-Service kommen und wieder zurück. Wie verbinde ich Omnichannel-Konzepte auch mit dem, was in den Shops selbst passiert.
MT: Hier schließt sich der Kreis zum Thema Work-Life-Balance. Wie gibt man dem Ganzen nun privat und beruflich einen neuen Sinn?
Ludger Strom: Das klingt ja ganz so, als würden alle, die im Service arbeiten, keinen Sinn in der Arbeit sehen – so ist das absolut nicht! Wir haben im Vergleich zu anderen Branchen – in bestimmten Projekten – hohe Kündigungsquoten, ja, aber auch die sind im Work-from-Home-Umfeld deutlich geringer. Das sollte uns anspornen, die Thematik weiter zu denken und noch weiter in diese Richtung zu entwickeln. Mit einer Regionalisierung bekomme ich genau die Power, die ich brauche, um für Mitarbeiter und Kunden vieles besser zu machen.
MT: Was ist mit dem Begriff Employee Experience. Kunde und Mitarbeiter stehen auf Augenhöhe und können miteinander als ganzheitliches Projekt angesehen werden.
Ludger Strom: Genau dieses Thema hatten wir vor Kurzem in einem Roundtable: CX meets EX. Das fängt schon damit an, dass der Kunde Serviceangelegenheiten gerne nach seiner Arbeitszeit klären will, der Mitarbeiter natürlich während seiner eigenen. Auch da kann ich vieles technologisch lösen. Wir reden über die Customer Journey, aber vieles kommt in der prozessualen, technischen und organisatorischen Umsetzung gar nicht im Unternehmen an. Wenn ich die Customer Journey als Grundlage für das alles nehme, was ich plane und die Employee Journey für alles das, was ich baue, kann ich es in einem virtuellen und regionalen Umfeld zusammenbringen und einen Mehrwert für alle schaffen.
Zum Podcast "Meike's Raumzeit" mit Meike Tarabori, Chefredaktorin des cmm360.ch, und Ludger Strom geht es hier >> https://www.cmm360.ch/meikes-raumzeit